Dieses Buch beschreibt die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater im Nationalsozialismus. Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater entstand 1935 aus dem Zusammenschluss des Deutschen Vereins für Psychiatrie, des Deutschen Verbandes für psychische Hygiene und der Gesellschaft Deutscher Neurologen. Was auf den ersten Blick als "Gleichschaltung von oben" erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung als das Ergebnis eines umständlichen Aushandlungsprozesses innerhalb eines Netzwerks von Akteuren aus Wissenschaft und Politik, in dessen Mittelpunkt Ernst Rüdin, der Geschäftsführende Direktor der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie, stand. Die neue Fachgesellschaft agierte fortab an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik, um den Bedarf der NS-Biopolitik nach erbpsychiatrisch-rassenhygienischer Expertise in den wissenschaftlichen Diskurs einzuspeisen und die Erkenntnisfortschritte der Erbpsychiatrie an die Politik weiterzugeben. Eine Schlüsselrolle spielten Rüdin und sein innerer Kreis bei der praktischen Umsetzung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs signalisierten sie im Namen der Fachgesellschaft Zustimmung zum Massenmord an geistig behinderten und psychisch erkrankten Menschen, sie unterdrückten Kritik aus den eigenen Reihen, unternahmen energische Anstrengungen, um die Forschung an Opfern dieses Mordes zu fördern, und entwickelten ein ambitioniertes Programm zur Reorganisation der praktischen Psychiatrie auf der Grundlage der "Euthanasie". Dieses Buch entstand aufgrund eines durch eine unabhängige internationale Kommission
von Medizinhistorikern ausgeschriebenen und begleiteten Forschungsauftrages.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und
Nervenheilkunde (DGPPN) hatte diese Kommission im Rahmen ihrer Aktivitäten
zum Thema Psychiatrie im Nationalsozialismus etabliert.