"e;Joseph Fouche, einer der machtigsten Manner seiner Zeit, einer der merkwurdigsten aller Zeiten, hat wenig Liebe gefunden bei seiner Mitwelt und noch weniger Gerechtigkeit bei der Nachwelt. Napoleon auf St. Helena, Robespierre bei den Jakobinern, Carnot, Barras, Talleyrand in ihren Memoiren, allen franzosischen Geschichtsschreibern, ob royalistisch, republikanisch oder bonapartistisch, lauft sofort Galle in die Feder, sobald sie nur seinen Namen hinschreiben. Geborener Verrater, armseliger Intrigant, glatte Reptiliennatur, gewerbsmaiger Uberlaufer, niedrige Polizeiseele, erbarmlicher Immoralist - kein verachtliches Schimpfwort wird an ihm gespart, und weder Lamartine noch Michelet noch Louis Blanc versuchen ernstlich, seinem Charakter oder vielmehr seiner bewunderswert beharrlichen Charakterlosigkeit nachzuspuren. (...) Jeder, der ihn sieht, hat den Eindruck: dieser Mensch hat kein heies, rotes, rollendes Blut. Und in der Tat: auch seelisch gehort er zur Rasse der Kaltbluter. Er kennt keine groben, mitreienden Leidenschaften, ist nicht zu Frauen getrieben und nicht zum Spiel, er trinkt keinen Wein, er freut sich nicht an der Verschwendung, er lat seine Muskeln nicht spielen, er lebt nur in Zimmern zwischen Akten und Papieren. Nie gerat er in sichtbaren Zorn, nie bebt ein Nerv in seinem Gesicht. Nur zu einem kleinen Lacheln, bald hoflich und bald hohnisch, krauseln sich diese scharfen, blutleeren Lippen, nie erkennt man unter dieser lehmgrauen, scheinbar schlaffen Maske eine wirkliche Spannung, nie verrat unter den rotgeranderten schweren Lidern das Auge seine Absicht oder eine Bewegung seiner Gedanken. Diese unerschutterliche Kaltblutigkeit ist auch Fouches eigentliche Kraft. (Stefan Zweig) Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren. Sein episches Werk machte ihn ebenso beruhmt wie seine historischen Miniaturen und die biographischen Arbeiten. Am 23. Februar 1942 schied er in Petropolis, Brasilien, freiwillig aus dem Leben.
"Joseph Fouché, einer der mächtigsten Männer seiner Zeit, einer der merkwürdigsten aller Zeiten, hat wenig Liebe gefunden bei seiner Mitwelt und noch weniger Gerechtigkeit bei der Nachwelt. Napoleon auf St. Helena, Robespierre bei den Jakobinern, Carnot, Barras, Talleyrand in ihren Memoiren, allen französischen Geschichtsschreibern, ob royalistisch, republikanisch oder bonapartistisch, läuft sofort Galle in die Feder, sobald sie nur seinen Namen hinschreiben. Geborener Verräter, armseliger Intrigant, glatte Reptiliennatur, gewerbsmäßiger Überläufer, niedrige Polizeiseele, erbärmlicher Immoralist - kein verächtliches Schimpfwort wird an ihm gespart, und weder Lamartine noch Michelet noch Louis Blanc versuchen ernstlich, seinem Charakter oder vielmehr seiner bewunderswert beharrlichen Charakterlosigkeit nachzuspüren. (...) Jeder, der ihn sieht, hat den Eindruck: dieser Mensch hat kein heißes, rotes, rollendes Blut. Und in der Tat: auch seelisch gehört er zur Rasse der Kaltblüter. Er kennt keine groben, mitreißenden Leidenschaften, ist nicht zu Frauen getrieben und nicht zum Spiel, er trinkt keinen Wein, er freut sich nicht an der Verschwendung, er läßt seine Muskeln nicht spielen, er lebt nur in Zimmern zwischen Akten und Papieren. Nie gerät er in sichtbaren Zorn, nie bebt ein Nerv in seinem Gesicht. Nur zu einem kleinen Lächeln, bald höflich und bald höhnisch, kräuseln sich diese scharfen, blutleeren Lippen, nie erkennt man unter dieser lehmgrauen, scheinbar schlaffen Maske eine wirkliche Spannung, nie verrät unter den rotgeränderten schweren Lidern das Auge seine Absicht oder eine Bewegung seiner Gedanken. Diese unerschütterliche Kaltblütigkeit ist auch Fouchés eigentliche Kraft. (Stefan Zweig) Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren. Sein episches Werk machte ihn ebenso berühmt wie seine historischen Miniaturen und die biographischen Arbeiten. Am 23. Februar 1942 schied er in Petrópolis, Brasilien, freiwillig aus dem Leben.